Kunsthalle Bielefeld – für das 21. Jahrhundert entwickeln: Sanierung/Erweiterung

Ein Beitrag von Christina Végh

Der historische Museumsbau der Kunsthalle Bielefeld bedarf einer Sanierung und Erweiterung, um im 21. Jahrhundert zukunftsfähig zu sein. Die heutigen Anforderungen an Museen betonen Inklusion, Teilhabe und Nachhaltigkeit. Der Bau der Kunsthalle Bielefeld erfüllt diese Anforderungen nicht mehr ausreichend und erfordert daher umfangreiche Veränderungen. Ziel ist es, neben Räumen für großformatige Kunstwerke, Bildung und Verwaltung auch Orte zu schaffen, die Teilhabe und Inklusion fördern. Die Sanierung zielt darauf ab, den historischen Bau nachhaltig und ressourcenschonend auszustatten, um Kunstwerke des 20. und 21. Jahrhunderts im Dialog mit der breiten Stadtgesellschaft präsentieren zu können.

 

Was braucht der historische Museumsbau von Philip Johnson, der einzige Museumsbau des US-amerikanischen Architekten in Europa, der 1968 nur zwei Wochen nach der Nationalgalerie Berlin eröffnet wurde, um zukunftsfähig im 21. Jahrhundert zu sein? So lautet die Fragestellung, die alle Überlegungen zur Sanierung/Erweiterung der Kunsthalle Bielefeld antreibt. Nur auf diese Weise werden die Planungen nachhaltig und ressourcenschonend ausfallen und der denkmalgeschützte Bau in Zukunft tragfähig bleiben.

Die Aufgaben eines Museums haben sich seit der Konzeption der Kunsthalle Bielefeld in den 1960er Jahren erheblich verändert. Im Rahmen der 26. Generalkonferenz des Internationalen Museumsrats ICOM wurde 2022 die neue Museumsdefinition verabschiedet. Neu werden Inklusion, Teilhabe und Nachhaltigkeit als zentrale Aspekte der Museumsarbeit betont:

A museum is a not-for-profit, permanent institution in the service of society that researches, collects, conserves, interprets and exhibits tangible and intangible heritage. Open to the public, accessible and inclusive, museums foster diversity and sustainability. They operate and communicate ethically, professionally and with the participation of communities, offering varied experiences for education, enjoyment, reflection and knowledge sharing.”[1]

„Ein Museum ist eine gemeinnützige, dauerhafte Einrichtung im Dienste der Gesellschaft, die materielles und immaterielles Erbe erforscht, sammelt, bewahrt, interpretiert und ausstellt. Offen für die Öffentlichkeit, zugänglich und inklusiv, fördern Museen Vielfalt und Nachhaltigkeit. Sie arbeiten und kommunizieren ethisch, professionell und unter Beteiligung von Gemeinschaften und bieten vielfältige Erfahrungen für Bildung, Vergnügen, Reflexion und Wissensaustausch.“

Die baulichen Voraussetzungen des historischen Museumbaus der Kunsthalle Bielefeld sind für die klassischen Museumsfunktionen (Ausstellen, Bewahren), wie zum Beispiel die Präsentation von großformatigen und installativen Kunstwerken seit den 1970er Jahren, die fachgerechte Anlieferung oder das Depot ungenügend ausgebildet. Es besteht auch unzureichender Platz für Bildung und Verwaltung. Gänzlich fehlen Räume und Orte, die verstärkt Programme und Formate ermöglichen, welche Teilhabe oder Inklusion fördern und „Zwischenräume“, die niederschwellig, offen und einladend für eine breite, diverse Stadtgesellschaft angelegt sind. Angesprochen damit ist die Qualität des „Dritten Orts“, den der Soziologe Ray Oldenburg 1989 mit „the great good place“ etablierte, und einen geschützten öffentlichen Raum meint, an dem sich Menschen mit sehr unterschiedlichen Interessen und Motivationen aufhalten. Erfolgreiche Museen heute zählen zu diesen Orten.

Die Konzeption des Museums, welche der damalige Leiter des Hauses, Joachim Wolfgang von Moltke, in enger Zusammenarbeit mit dem Architekten Philip Johnson und dem Förderer des Baus, Rudolf-August Oetker, erarbeitet hat, war allerdings damals außerordentlich fortschrittlich. In einem Schreiben vom 8. Mai 1964, als es aus finanziellen Gründen darum ging, schmerzhafte Einsparungen zu machen, – unter anderem wurde die Kubatur des Hauses von 40 x 40 m auf 30 x 30 m verkleinert -, argumentierte von Moltke gegenüber Rudolf-August Oetker wie folgt:

„Wir befinden uns in einer Zwangslage. Wir können nicht davon ausgehen, dass wir in absehbarer Zeit eine Sammlung haben werden, die sich mit den Sammlungen von Düsseldorf, Essen, Köln und anderen Städten vergleichen lassen wird. Daher habe ich vorgeschlagen, dass man diese Beschränkungen als ein Positivum ansieht und etwas schafft, was es in Deutschland bisher gar nicht und in Europa nur ganz selten gibt: ein Museum, in dem die Verbindung von pädagogischen und künstlerischen Aufgaben in einer verstärkten Öffentlichkeitsarbeit hervorstechend zum Ausdruck kommt.“[2]

So gehört die Kunsthalle Bielefeld neben der Nationalgalerie in Berlin, dem Museum Folkwang in Essen oder dem Wilhelm Lehmbruck Museum in Duisburg nicht nur zu den ersten neuen Museumsbauten der damals noch jungen Bundesrepublik, sondern hat als eines der ersten Häuser Bildung und Pädagogik im Raumprogramm in Form der damaligen „Malstube“ fest verankert. Was damals ein Novum war, ist heute lange schon selbstverständlich und fordert eine Infrastruktur, die unser historischer Bau nicht mehr abzubilden vermag.  Mit dem von Johnson angelegten offenen Grundriss, welcher den Blick nicht nur kaleidoskopisch auffächert und ständig neue Beziehungen – Dialog – zwischen Werken über die Räume und Stockwerke eröffnet und der Raumordnung, die den Besucher*innen keine Vorgabe macht, welche Richtung einzuschlagen ist, sind wichtige Grundsätze verankert, die uns auch heute und in Zukunft anleiten: Dialog zwischen Werken und Menschen und die Einladung, „selbstbestimmt“ das Haus, die Kunst zu erfahren, sind weiterhin wichtig, allerdings – ebenso wie die Verankerung der Bildung –  erfordern sie heute zusätzliche, weitere Raumqualitäten.

Von Moltke war nicht nur sehr überlegt in seiner Konzeption, sondern voraussehend, wenn er im selben Schreiben fortfuhr: „(…) ich habe Philip Johnson sehr ans Herz gelegt, dass eine spätere Erweiterung möglich sein muss, wenn wir jetzt kleiner bauen. Ich darf einfach nicht nur an meine Amtszeit denken, sondern muss Vorsorge treffen, dass auch meine Nachfolger ein Gebäude haben, das sich weiter entwickeln kann.“[3]

Die Sanierung der Kunsthalle Bielefeld ist nach über fünfzig Jahren nicht nur aus energetischen und konservatorischen Gesichtspunkten notwendig. Um das Museum für das 21. Jahrhundert zukunftsfähig zu machen, müssen sowohl bereits angelegte Funktionen, die nicht mehr angemessen sind, wie auch neu erforderliche Funktionen eingeführt werden: Räume für größere Formate, für Bildung und Verwaltung, ebenso wie Orte, an denen sich Besucher*innen aufhalten können und mehr unterschiedliche Formen der Begegnung möglich sind, sind unerlässlich, um die Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts im ständigen Dialog präsentieren zu können und eine breite, immer diverser werdende Stadtgesellschaft willkommen heißen zu können. Dabei steht der Leitsatz „immer mehr ist nicht genug“ im Vordergrund: Sämtliche Maßnahmen dienen ausschließlich dem Zweck, den historischen, denkmalgeschützten Bau der Spätmoderne ressourcenschonend und nachhaltig mit den Eigenschaften auszustatten, die ein Museum im 21. Jahrhunderts braucht, um gegenwärtigen und künftigen Generationen Kunstwerke des 20. und 21. Jahrhunderts im Austausch, in Interaktion, im Dialog, bereit zu stellen.

[1] https://icom.museum/en/resources/standards-guidelines/museum-definition/

[2] Kunsthalle Bielefeld, 1968/2018, Zit. nach Friedrich Meschede „Chronologie einer Institution für bildende Kunst in Bielefeld“,  (Kat.),  Köln 2018,  S. 52.

[3] Ebda.

Eine weiße Frau mit langen blonden Haaren im mittleren Alter. Sie trägt eine weiße Bluse unter kobaltblauem Blazer.
Christina Végh, Foto: Philipp Ottendörfer

Direktorin der Kunsthalle Bielefeld

Seit Februar 2020 ist die Kunsthistorikerin Christina Végh (*1970 Zürich) Direktorin der Kunsthalle Bielefeld. Zuvor leitete sie ab 2015 die Kestner Gesellschaft in Hannover, und war von 2004 bis 2014 Direktorin des Bonner Kunstvereins. Erste Station nach ihrem Studium an der Universität Zürich (Kunstgeschichte, Ethnologie, Philosophie) und einem Aufenthalt an der University of California Santa Cruz, war die Kunsthalle Basel, wo sie von 2000 bis 2004 als Kuratorin tätig war. Végh ist Kuratorin von Ausstellungen u.a. mit Monica Bonvicini, Monika Baer, John Baldessari, Rita McBride, Haegue Yang, Charline von Heyl, Annette Kelm, James Richards, Franz Erhard Walther oder Christopher Williams und verantwortet auch umfangreiche Gruppenausstellungen wie „Wo Kunst geschehen kann. Die frühen Jahre von Cal Arts“ (Ko-Kurator Philipp Kaiser) oder „Made in Germany Drei“ und publizierte in entsprechenden Katalogen. Végh ist in zahlreichen Gremien und Jurys tätig, unter anderem 2017 als Gast-Juror des Wolfgang Hahn-Preis, Ludwig Museum Köln oder bei der Pro Helvetia als Mitglied der Kunstbiennalen-Jury (2015-2018), seit 2018 ist sie Mitglied der Jury des Justus Bier-Preis. Von 2008-2012 engagierte sich Végh im Vorstand der Arbeitsgemeinschaft der deutschen Kunstvereine (AdKV). 2010 wurde Végh von der schweizerischen Kunstkommission des Eidgenössischen Bundesamts für Kultur mit einem Preis für Kunst- und Architekturvermittlung ausgezeichnet.

Weitere Blogbeiträge zum Architektursymposium   

Das Symposium wird gefördert und unterstützt durch:

Schwarz-weiß Logo, linksbündig der Name der Institution und rechtsbündig das Wappen des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen.
Schwarz-weiß Logo, ein schwarzes Rechteck in dem der Name des Vereins in Großbuchstaben steht.
Stiftungsloge, in Grün steht links in Großbuchstaben B & A mit einem Kreis darum. Rechts daneben ist der Stiftungsname in Großbuchstaben ausgeschrieben.