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Folge 4: Antonius Höckelmann – Pergamon

Hallo im Teens-Club! Dieses Mal haben wir für euch das Gemälde „Pergamon“ von Antonius Höckelmann (1937 – 2000) ausgewählt, mit dem wir uns heute intensiver beschäftigen möchten.

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Pergamon, 1981 – 1982
Tusche, Wachskreiden, Bleistift auf Karton, aufgezogen auf Trägermaterial
300 x 480 cm
Sammlung Elke und Werner Zimmer, Düsseldorf

Das Gemälde „Pergamon“ entstand im Wesentlichen während einer Ausstellung 1981 in den Räumen der Galerie Zimmer in Düsseldorf, wurde aber im Atelier vollendet.  Antonius Höckelmann lud die Besucher der Galerie ein, ihm bei der Arbeit über die Schulter zu schauen.

Aus großformatigen kartonstarken Papierbahnen, die er aneinander klebte, entstand eine Malfläche von 300 x 400 cm, die er an einer Galeriewand befestigt hatte und später um weitere Blätter ergänzte. Er begann mit einer großen Tuschezeichnung: dem Pferd! Nach und nach kamen vielschichtige Figuren, Szenen und Liniengeflechte hinzu, verschmolzen einzelne Themen zu dem komplexen Gemälde. Auch die verwendeten Materialien sind vielseitig: Tusche, wasserlösliche Farbstifte, Kreiden und Kohle.

In unserer Ausstellung könnt ihr das Gemälde „Pergamon“ im Original betrachten, parallel dazu habt ihr aber auch die Möglichkeit, euch eine Filmdokumentation der Galerie anzuschauen, die den Künstler während der Arbeit an dem Gemälde zeigt.

Schau dir das Bild „Pergamon“ einmal genauer an. Was entdeckst du alles? Was entdeckst du inhaltlich? Was entdeckst du im Umgang mit Farben, Pinsel und Malgrund? Was ist das Besondere an Höckelmanns Malstil?

Wie wirkt das Bild auf dich?

Antonius Höckelmann arbeitet innerhalb eines Werkes mit den unterschiedlichsten Materialien. Er verbindet Acrylfarben mit Tusche, Wachskreiden, Buntstiften oder Bleistift. Seine expressiven, farbgewaltigen Arbeitenzeugen von einer schnellen, spontanen Malweise. Höckelmann arbeitet mit kräftigen, kontrastreichen Farben, seine Pinselstriche sind energisch.

Vielleicht hast du ja die Möglichkeit, in die Kunsthalle zu kommen, um dir das Bild „Pergamon“ im Original anzuschauen. 300 x 480 cm, allein die Größe dieses Werkes ist gewaltig. Und es ist schon ein Seherlebnis, immer wieder entdeckt man Neues.

Und was ist dargestellt? Und warum heißt die Arbeit „Pergamon“?

In dem wilden Geschlinge von Motiven und wirbelnden Formen auf dieser monumentalen Arbeit müssen wir uns langsam an Motive und Zusammenhänge herantasten. Erkennt ihr das gewaltige Pferd, das im Zentrum der Arbeit steht? Es wird von einem Sulkyfahrer gelenkt. Der Traber steht im Zentrum des Bildes, um den sich ein Kosmos von weiteren Figuren entfaltet. Oben links ist der Kopf des Fahrers zu erkennen, darunter die Räder des Sulkys. Davor können wir die Beine des Pferdes ausmachen und  außerdem eine schwingende Peitsche. Schräg diagonal nach links ragt noch eine Startfahne hervor. Offensichtlich hat Höckelmann hier eine Pferderennbahn dargestellt. Der Rest des Pferdes ist verdeckt, vor allem von einem großen weiblichen Kopf, der aussieht wie der Kopf einer Furie, also einer Rachegöttin. Diesen Kopf findet ihr übrigens auch auf weiteren Werken des Künstlers. Der Kopf des Mannes neben der Frau ist von Farbwirbeln fast völlig verdeckt. Nur seine roten wulstigen Lippen sind geblieben. Im Vordergrund sind Frauenprofile zu sehen. Unten links, durch Schraffuren überdeckt, ist ein Kopf in einer Art Medaillon wie bei einem alten Schmuckstück zu sehen. Deutlich sichtbar ist ein Frauenkopf unten rechts. Dazwischen tummeln sich Männerköpfe, alle im Profil. Grotesk, maskenhaft überzeichnet sind sie. Die Atmosphäre ist sexuell aufgeladen. Wie ein Phallus drängt sich die Nase eines Mannes zum Kopf der jungen Frau. Ohne dazugehörige Figuren erscheinen Zähne, Lippen und die für Höckelmann typischen schlangenähnlichen Formen.
Die Atmosphäre auf dem Rennplatz, die Geschwindigkeit der Sulkys, die Kraft der Pferde übten seit den 1970er-Jahren eine große Faszination auf Höckelmann aus. Es entstanden viele Arbeiten zu diesen Themen. Ihr könnt im Kindermuseum weitere Arbeiten zu Pferden finden! Aber auch die sexuelle Komponente, Begierde und erotisch aufgeladene Stimmung sind in den Arbeiten des Künstlers zu spüren. Damit ist Höckelmann als Maler ein typischer Vertreter der sogenannten Neuen Wilden der 1980er-Jahre, die bei aller Gemeinsamkeit ihre individuellen Themen und Malweisen hatten.

Als Höckelmann 1957 aus Oelde nach Berlin kam (vgl. Kindermuseum Folge 4 und Teens-Club Folge 1), wurde er dort mit ganz neuen und aktuellen Gedanken zur Freiheit der Kunst konfrontiert. Nach der Diktatur des Nationalsozialismus mit einer heldenhaften figurativen Kunstauffassung, vielleicht kennt ihr die Darstellungen vor Kraft strotzender Körper, stritten in den 1950er-Jahren führende Künstler und Kunsthistoriker in der Bundesrepublik um die Ausrichtung der Kunst nach dem Zweiten Weltkrieg. Wie sollte die neue Moderne aussehen? Die einen traten für die gegenständliche Kunst ein, die anderen für die ungegenständliche. Die Lager teilten sich in Ost und West: In der DDR und im „Ostblock“ wurde die gegenständliche Kunst propagiert, der so genannte „Sozialistische Realismus“. Im Westen Europas bis in die USA war die ungegenständliche Kunst die dominierende Formensprache. Hier wurde Farbe vor allem spontan und impulsiv auf die Leinwand geworfen, oder abstrakte Formen wurden zu bewegten Kompositionen zusammengefügt. Der Begriff für diese Kunstrichtung lautet „Informel“.

Auf der ersten Etage der Kunsthalle könnt ihr hierzu Beispiele von Peter Brüning (*1929), Karl Fred Dahmen (1917 – 1981) und Pierre Soulages (*1919) sehen.

Nach einer Phase, in der auch diese gestische Malerei abgelehnt und die Malerei sogar für tot erklärt wurde, entwickelten Ende der 1970er-Jahre junge Maler*innen ein neues Interesse an Malerei, an wilder, expressiver Malerei, die ein neues und überwiegend positives Lebensgefühl spiegeln sollte. Sie bezogen auch neue Medien wie Film und Fotografie, Performance und Collage ein. Berlin, Köln und Hamburg wurden zu Zentren dieser neuen impulsiven und sehr stark emotional aufgeladenen Malerei. Sie brach wie schon der Expressionismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit Konventionen und schockierte das Publikum. Die Künstler*innen knüpften mit ihrer lauten figurativen Malerei an diesen und an die Kunst der 1920er-Jahre, der Neuen Sachlichkeit, an. Neben Georg Baselitz (*1938) gehörte auch Martin Disler (1949 – 1996) zu diesen Malern. Von ihnen zeigen wir ebenfalls Werke auf der ersten Etage der Kunsthalle, so dass ihr einen guten Eindruck von der Malerei der 1980er-Jahre bekommen könnt.

In diesem Filmbeitrag aus dem Städel-Museum in Frankfurt könnt ihr weitere Malerei der Neuen Wilden erleben und erhaltet darüber hinaus interessante weiterführende Information:

https://www.youtube.com/watch?v=Q4f3LNKBI28

Das Gemälde „Pergamon“ wurde übrigens 1982 auf der documenta 7 in Kassel gezeigt, es spiegelt Lebensgefühl und künstlerische Auffassung der 1980er-Jahre.

Exkurs documenta: 1955 rief der Kasseler Maler und Akademieprofessor Arnold Bode die documenta ins Leben, die heute alle fünf Jahre in Kassel stattfindet. Ziel war es damals, nach dem Ende des Zweite Weltkrieges ein Kunstforum zu schaffen, über das Deutschland wieder in den Dialog mit der Welt treten konnte. Die erste documenta war eine Retrospektive mit Arbeiten bedeutender Kunstgruppierungen des 20. Jahrhunderts, deren Werke im Nationalsozialismus größtenteils als entartet verfemt waren. Heute ist die documenta ein Forum für internationale zeitgenössische Kunst. Die nächste wird 2022 stattfinden. Hier findet ihr ausführliche Informationen und vor allem Bilder zur documenta:   htps://www.documenta.de/#

Um 1980 sorgten junge Künstler mit ungestümen, wilden, sehr individuellen Arbeiten für Aufruhr, unter der Bezeichnung „Neue Wilde“ breitete sich die Bewegung aus. Auch der aus Oelde stammende Künstler Antonius Höckelmann zählte dazu.

Was sind die Hauptmerkmale dieser Kunstströmung? Wo hat diese Stilrichtung ihren Ursprung? Welche Künstler werden zu den Neuen Wilden gezählt?

Was verbindet Antonius Höckelmann mit den übrigen als Neue Wilde bezeichneten Künstlern? Was ist Kern seiner Arbeiten? Welche Themen nimmt er auf? Wie geht er mit den Materialien um?

Vielleicht fragt ihr euch, warum Höckelmann die Arbeit „Pergamon“ genannt hat. Er war Kenner der Kunstgeschichte, gibt es also einen Bezug? Habt ihr schon einmal von dem berühmten Pergamonfries im Pergamonmuseum in Berlin gehört? Oder habt ihn vielleicht sogar schon gesehen? Dort ist der Kampf der Giganten, also der Ur-Herrscher in der griechischen Mythologie, mit den olympischen Göttern dargestellt. Der Fries zeigt auch ein Geschlinge an Figuren und Motiven. Das ist es sicher, was Höckelmann daran faszinierte. Denn weitere Gemeinsamkeiten scheint es kaum zu geben. Für Höckelmann steckt aber wohl in dem Renngeschehen noch ein Rest von dem leidenschaftlichen, fast barbarischen Kampf der mythischen Wesen.

Wenn ihr Lust habt, euch mit der Geschichte um Pergamon und dem berühmten Pergamonfries zu beschäftigen, findet ihr hier ein spannendes 3D-Modell, dazu interessante Informationen zu einzelnen Ausschnitten und Themen des Altars:

http://3d.smb.museum/pergamonaltar/ oder https://www.youtube.com/watch?v=e54QxV0H46U

Nun aber ran an die Farben! Decke deinen Arbeitsplatz großflächig mit Zeitungspapier ab, du musst dich später nicht so vorsehen und kannst schwungvoll arbeiten. Wie Höckelmann kannst auch du innerhalb deiner Arbeit verschiedene Techniken einsetzen. Vielleicht stehen dir ja Wachsmalkreiden, Buntstifte, Wasserfarben und Acrylfarben zur Verfügung. Stelle alles bereit.

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(Solltest du häufiger Besucher des Teens Clubs sein, kannst du dir vielleicht nach und nach Farben oder bestimmte Kreiden anschaffen.)

Bevor du mit deinem großen Werk beginnst, nimm dir Zeit, die dir zur Verfügung stehenden Farben, Kreiden und Stifte auszuprobieren. Experimentiere mit ihnen! Wo sind die Unterschiede? Welche besonderen Eigenschaften werden im praktischen Umgang deutlich? Wie wirken die unterschiedlichen Farben, Stifte und Kreiden in Verbindung miteinander? Gibt es eine Technik, die dir besonders gefällt?
Vielleicht entstehen während dieses Experimentierens bereits interessante kleinere Arbeiten.

Für deine große Arbeit nutze ein großformatiges, stärkeres Papier oder auch Pappe.  Es soll ja ein kraftvolles, wildes Bild werden, bei dem die Linien nur so übers Blatt wirbeln.

Damit dir das gelingt, stellst du dich am besten an deinen Arbeitsplatz. Dein Arm hat so mehr Bewegungsfreiheit und du kannst schwungvoller und kräftiger malen.

Sei nicht zu kritisch mit jeder deiner Linien, denke an die deformierten Linien in Höckelmanns Arbeiten, das Liniengewirr und die Bewegung, die dadurch entsteht. Gehe also mit Schwung an dein Werk!

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Und wenn dir dann Teile deines Bildes gar nicht gefallen, mach es wie Höckelmann: Nimm ein kleineres Blatt und überklebe diese Stelle. Und schon kann es weiter gehen. Gegenständlich, abstrahiert, alles ist möglich! Farbe klecksen, verwischen sprühen, setze deine Farben ein, so wie du es magst, spontan, wild.

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Dir ist bei Höckelmanns Arbeiten sicher schon sein stets großer Namenszug aufgefallen. Auch du solltest dein Werk unbedingt signieren.

Auf der Website zu Antonius Höckelmann könnt ihr weitere Arbeiten und historische Dokumente einsehen und dem Künstler auch bei der Entstehung weiterer Arbeiten, Plastiken und Zeichnungen, zusehen.

http://www.antonius-höckelmann.de

Aber den besten Einblick bekommt ihr natürlich vor den Originalen in unserer Ausstellung. Ihr seid herzlich eingeladen, denn für Jugendliche bis zu 18 Jahren ist der Eintritt frei! Wir freuen uns auf euch!